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Essay "Old Surehand"

Daten

TitelOld Surehand
AutorRolf Dernen

Zugeordnete Texte

Konkordanz dieser Texte

TitelUntertitelKurzbemerkung
Old Surehand 1 
Old Surehand 2 
Old Surehand 3 

Konkordanz dieser Texte

Old Surehand und die Piraten

Aus der Werkstatt eines Erfolgsschriftstellers II

Manch einer wundert sich, wenn schon mal vom einem dritten Band OLD SUREHAND die Rede ist. Bei den grünen Gesammelten Werken und deren Lizenzausgaben (z.B. Tosa oder Ueberreuter) findet man nur Band I und II vor, aber tatsächlich gab und gibt es, je nach Ausgabe, eine SUREHAND-Trilogie. Wie sich das zusammenreimt, soll im Folgenden erläutert werden.

Sommer 1894: Mays GESAMMELTE REISEROMANE, wie der Reihentitel der grünen Bücher aus dem Verlag Fehsenfeld zu diesem Zeitpunkt noch lautet, sind bereits auf stattliche 13 Bände angewachsen. Dem Autor ist es gesundheitlich in den letzten Monaten aber nicht gut gegangen; halbwegs überstandene Grippe und Rippenfellentzündung verlangen nach Schonung, eine Reise in den Harz soll Erholung bringen, die aber einige Zeit auf sich warten lässt. Für Band 14 hat May eine Sammlung kürzerer Erzählungen geplant, die AUS ALLEN ZONEN oder AUS ALLEN MEEREN (was ja eher wie eine Fischplatte auf einer Speisekarte klingt) heißen soll. Am 17. Juli schreibt er allerdings an seinen Verleger, dass er beabsichtige, drei Bände OLD FIREHAND zu verfassen. Einen Zeitplan liefert er im selben Brief gleich mit. "Mein Befinden", so May an Fehsenfeld, "ist, Gott sei Dank, nun endlich wieder so, dass ich überzeugt bin, die oben angegebenen Termine einhalten zu können."

Old Firehand? Zehn Tage später hat May seine Meinung geändert. "Nicht Old Fire- sondern Old Surehand" soll im Mittelpunkt des neuen Bandes stehen, schreibt er seinem Verleger, "weil Surehand als Westmann noch bedeutend höher steht als Firehand, den wir später bringen können." Bei drei Bänden soll es bleiben, und "diese drei Bände", so May im selben Brief, "werden mehr wie Winnetou gefallen und uns Ehre machen." Die ersten 60 Seiten schickt er gleich mit, was ihm keine große Mühe bereitet, denn der Anfang des Romans basiert auf zwei älteren Erzählungen, nämlich DER ERSTE ELK, 1893 in der Zeitschrift "Über Land und Meer" abgedruckt, sowie IM MISTAKE-CANNON, bereits 1889 in "Illustrirte Welt" erschienen. Gerade die "Elk"-Erzählung fügt sich beinahe nahtlos in den SUREHAND-Gesamtzusammenhang, weil dort der Charakter des Old Wabble bereits so geformt ist, dass er ohne große Änderung übernommen werden kann.

May, dem das Schreiben normalerweise leicht von der Hand geht, braucht recht lange, bis er den Schluss des ersten Bandes abliefern kann, seine noch immer nicht richtig auskurierte Erkrankung mag da mitgespielt haben. Fehsenfeld, der das Weihnachtsgeschäft im Auge hat, bittet May, den ersten Band abzukürzen, was der Autor aber nicht mitmacht. "Der erste Band", so schreibt May an den Verleger, "mit vollen 40 Bogen wird jeden Leser hoch befriedigen. Wird er aber bei Bogen 33 abgebrochen, so taugt er gar nichts; er ist ein Champagner ohne Mousseux, ein Calummet ohne Pfeifenkopf, und das ganze Werk wird verdorben". Der Autor setzt sich durch, und es gelingt auch, noch vor Weihnachten 1894 OLD SUREHAND I herauszubringen. Im selben Brief schreibt May: "Dazu arbeite ich jetzt schon tüchtig am 2ten Bande...", dessen Manuskript er bereits am 18. Dezember beendet und an Fehsenfeld senden kann.

OLD SUREHAND I braucht ungewöhnlich viel Zeit, der Folgeband aber ist in nullkommanichts fertig; wie soll das funktioniert haben? Ganz einfach: May bedient sich der Technik, die er bereits bei den Bänden WINNETOU II und III angewandt hat, er kompiliert einen 647 Seiten starken Band aus bereits veröffentlichten Erzählungen. Im Falle des WINNETOU funktionierte das noch einigermaßen, weil es bereits Erzählungen gab, in denen der Apachenhäuptling vorkam. Die Figur des Old Surehand kam aber bisher in Mays Texten nicht vor, tritt daher in den den zweiten Band füllenden Erzählungen gar nicht auf und wird im jeweils neugeschriebenen Anfang und Schluss des Bandes nur erwähnt. May schreibt eine sehr reduzierte Rahmenhandlung, die fünf Erzählungen miteinander verbindet. In Hinsicht auf spätere Buchausgaben besonders interessant ist einmal AUF DER SEE GEFANGEN bereits 1877 erstveröffentlicht, sowie DER KÖNIGSSCHATZ (1883), eine Episode aus dem Kolportageroman WALDRÖSCHEN.

Selbstverständlich muss May die alten Texte stilistisch an die SUREHAND-Erzählung anpassen, was ihm allerdings nicht allzu gut gelingt. So gibt es eine brutale Skalpierszene mit Winnetou, in der dieser "einen fürchterlichen Siegesruf hören" lässt, "welcher Mark und Bein erschütternd auf den Gegner zu wirken pflegt". Dieser Winnetou hat nichts gemeinsam mit dem edlen Häuptling in der neu geschriebenen SUREHAND-Handlung. - Immerhin, der zweite Band kann schon im März 1895 erscheinen. Für Band III, der komplett neu geschrieben werden muss, braucht May wiederum sehr viel Zeit. Erst im Dezember 1896 liegt OLD SUREHAND III endlich vor. Für May scheint der SUREHAND eine Quälerei gewesen zu sein; ein Indiz dafür ist sein niedergeschriebener Stoßseufzer auf der letzten Seite des Manuskripts: "Endlich, Endlich, Endlich / Schluss / des IIIten Bandes! Hamdulillah!"

Man sollte meinen, dass gerade die Zeit, in der der SUREHAND geschrieben wird, für May eine glückliche ist. Er wird gefeiert, umjubelt gar, kann sich eine Villa leisten, die er mit seiner Frau Emma im Januar 1896 bezieht, aber vielleicht ist ihm nur zu sehr bewusst, auf welch dünnem Eis er sich bewegt, wenn er sich als wirklicher Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi darstellt. Und das tut er mit aller Konsequenz: Im März erhält er von dem Dresdner Büchsenmacher Max Fuchs die bestellten Gewehre Bärentöter und Silberbüchse, und mit letzterer posiert er als Old Shatterhand für eines der 101 Fotos in Shatterhand- bzw. Kara-ben-Nemsi-Kostüm, die der Fotograf Alois Schießer im April 1896 von ihm macht. Dieses Bild mit der Silberbüchse erscheint dann als Frontispiz im dritten SUREHAND-Band mit der Unterschrift: "Old Shatterhand (Dr. Karl May) mit Winnetous Silberbüchse." Immerhin erinnert May sich noch, dass Old Shatterhand diese Waffe seinem Blutsbruder mit ins Grab gegeben hat und korrigiert diesen Widerspruch in Band III, indem er von einer Graböffnung und der Entnahme des Gewehres berichtet, um dieses vor räuberischen Sioux zu schützen.

Wie wurden aber nun aus ursprünglich drei Bänden SUREHAND zwei? Das geschah erst nach Mays Tod (1912), als der neugegründete Karl-May-Verlag (KMV) Nachfolger von Fehsenfeld wurde und Mays Texte bearbeitete. Man kam zu der Einsicht, dass der zweite Band bis auf die Rahmenhandlung so gut wie gar keinen Bezug zum SUREHAND-Roman hatte. Daher stellte man die Rahmenhandlung, die in Mother Thick's Boardinghouse spielt, an den Anfang von Band III und machte aus diesem Band II. Der ehemalige zweite Band wurde zum Titel KAPITÄN KAIMAN. Dieser Name stammt nicht von May, er wurde dem Oberpiraten der alten Erzählung AUF DER SEE GEFANGEN übergestülpt und gab einen interessant klingenden Buchtitel ab. Im KAIMAN-Band waren nun (1921) folgende Erzählungen vereint: KAPITÄN KAIMAN, DER KANADA-BILL, UNTER DER WINDHOSE und DER PFAHLMANN. Letzterer Text erschien hier erstmals in den Gesammelten Werken, wie die grünen Bände inzwischen hießen. May hatte ihn 1879 für die Stuttgarter Zeitschrift "All-Deutschland" geschrieben, und sie brachte den KAIMAN-Band auf den normalen Umfang, denn die WALDRÖSCHEN-Episode DER KÖNIGSSCHATZ war herausgenommen worden, um Textüberschneidungen zu vermeiden. Der Verlag hatte vor, die Kolportageromane Mays, nach teilweise massiver Bearbeitung, in die Gesammelten Werke einzugliedern, was mit dem WALDRÖSCHEN 1924 begonnen wurde.

KAPITÄN KAIMAN überdauerte die Jahrzehnte in der beschriebenen Form, bis der KMV daran ging, die in Sammelbänden wie eben KAPITÄN KAIMAN veröffentlichten kürzeren Erzählungen umzugruppieren. Die Geschichte EIN PFAHLMANN wanderte in Band 38 (HALBBLUT), dafür kam die KÖNIGSSCHATZ-Episode wieder zurück. KAPITÄN KAIMAN ist dadurch wieder dem ehemaligen SUREHAND II angeglichen worden, wobei die Bearbeitungen der Titelgeschichte allerdings geblieben sind. Ganz speziell auf den schönen Namen "Kaiman" wollte man wohl nicht verzichten. Gemessen an den Auflagezahlen ist aber der Name "Surehand" wohl der zugkräftigere, denn beim KMV ist man mit beiden Bänden beim 2.685 bzw. 2.451 Tausend, während der Kaiman bisher 'nur' 1.282. 000 mal gedruckt wurde.

Rolf Dernen

Dieser Beitrag stammt mit freundlicher Genehmigung des Autoren und der Redaktion aus "Karl May & Co.", dem Karl-May-Magazin.