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Band-Rezensionen

Band: Die Kitschpostille

Verlag: Eulenspiegel Verlag Berlin

Eintrag von Rüdiger (vom 22.4.2009) (weitere Einträge von Rüdiger)

Empor

Herr, gieb mir Schwingen, aufzusteigen
Aus dunkler Nacht zum hellen Licht!
Du willst mir deinen Himmel zeigen,
Und ich, ich komm und komme nicht.
Es halten mich die Eigenschaften
Des Staubes an der Erde hier;
Ich aber will nicht unten haften;
Hilf mir hinauf, hinauf zu dir!

Herr, gieb mir Schwingen, aufzusteigen
Aus dunkler Nacht zum hellen Tag!
Wie lange Zeit soll noch verstreichen
Bis zu dem ersten Flügelschlag?
Soll bei der starren, irdschen Schwere
Dies mein Gebet vergeblich sein,
So sende deiner Engel Heere,
Daß sie mir ihre Flügel leihn!

Ja, gieb mir Schwingen, aufzusteigen ---
O Herr, ich steig, ich steige schon!
Ich seh die Nacht dem Tage weichen
Und nähere mich deinem Thron.
Hinweg mit allen meinen Klagen,
Denn was ich bat, das ist geschehn:
Ich fühle mich emporgetragen
Und werde deinen Himmel sehn!

Ein Heftchen nemens "Kitschpostille" enthält dieses Gedicht ...

Was daran kitschig sein soll, erschließt sich mir nicht. Diese hilflos wirkende und darüber hinaus oberflächliche und anmaßende Zuordnung wird wohl daran liegen, dass viele Menschen nicht in der Lage sind, durch meinetwegen gewöhnungsbedürftige eigenartige Form hindurch Inhalte wahrzunehmen, also das, worum es eigentlich geht.

Herr, gieb mir Schwingen, aufzusteigen
Aus dunkler Nacht zum hellen Licht!

Die dunkle Nacht, das ist z.B. das letzten Endes orientierungslose und zu keinem wirklich befriedigenden Ziel führende Herumrennen in einer sinnlosen Welt, sich abrackern und kümmern für sozusagen Nichts, Gschaftlhuberei könnte man es auch nennen, ohne Bewusstsein dessen, was ist, was wirklich wesentlich, wahrhaftig usw. ist und was nicht, das helle Licht hingegen ein gereiftes, gleichsam vogelperspektivisches Bewusstsein mit Blick für’s Wesentliche, geprägt von Klarheit und Objektivität. Der Ruf nach Schwingen ist die Klage, selber noch nicht in der Lage zu sein, aus sich heraus dauerhaft von dem einen in den anderen Zustand zu gelangen, diesen halten zu können.

Du willst mir deinen Himmel zeigen,
Und ich, ich komm und komme nicht.

Die Möglichkeit besteht, ist aber noch nicht durchgängig erreichbar.

Es halten mich die Eigenschaften
Des Staubes an der Erde hier;

Der Mensch ist in einem Körper gleichsam gefangen, ist von simplen physischen Dingen wie Essen, Trinken, Schlafen usw. abhängig, und derlei schlichte Bedürfnisse bestimmen letzten Endes weitgehend sein Handeln, nach Geld jagt er, nach Macht, nach Sex (zahlreiche weitere aufzählbare Motivationen ließen sich letzten Endes auf dieses klassische ‚Dreieck’ reduzieren), und all das kann ihn nicht wirklich weiterbringen …

Ich aber will nicht unten haften;
Hilf mir hinauf, hinauf zu dir!

Der Mensch dieses Gedichtes ist es aber leid, dem sich in diesen vordergründig bedürfnisbefriedigenden Formen zeigenden ‚Glück’ nachzujagen, sein ‚Reich’ soll eben nicht mehr ‚von dieser Welt’ sein …

(Das soll mal [vorerst] genügen; noch ein Stück aus der letzten Strophe:)

Ja, gieb mir Schwingen, aufzusteigen ---
O Herr, ich steig, ich steige schon!

Ein Anfang ist gemacht. Das Bewusstsein klärt sich. Ein Prozess ist in Gang gekommen, und der ist nicht mehr aufzuhalten. Wer einmal den Geschmack der Wahrheit, der Erkenntnis, des reinen Bewußtseins gekostet hat, der will nicht mehr zurück, und er kann es auch irgendwann gar nicht mehr. Ein Autofahrer, der jahrelange Fahrpraxis hat, wird, selbst wenn er es wollte, nicht mehr fahren können wie ein Anfänger.

All das sind Dinge, die kann man z.B. schon in Schulzeit und Pubertät bei Seneca nachlesen. Ist eigentlich gar nichts Besonderes dabei. Nur will eben kaum einer sich mit etwas tiefer gehenden Gedanken befassen. Und dann wird schnell die Schublade ‚Kitsch’ aufgemacht, und man kann sich wieder der Beliebigkeit des Alltags widmen …



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Auflagen: 7, 6, 5, 4, 2