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Band-Rezensionen

Band: Das Waldröschen

Verlag: Olms Presse Hildesheim · New York

Eintrag von JennyFlorstedt (vom 26.2.2005) (weitere Einträge von JennyFlorstedt)

Das ist keine Rezension des Buches, sondern ein 1995 geschriebener Bericht über eine Aufführung des Stückes. :-)
Zum Buch ist zu sagen, dass es farbige Abbildungen der Kostüme enthält und als Illustration einige Originalbilder und zeitgenössische Holzschnitte.

Mein - leicht gekürzter - Bericht:
Zu Beginn möchte ich all jene bedauern, die unter diesem oder jenem Vorwand NICHT mit bei der Premiere des "Waldröschens" in Radebeul waren. Zugegeben es war ein etwas eigenartiges Stück, ... aber davon später. Ich weiß nicht, auf welchen verschlungenen Pfaden die anderen die Spielstätte erreichten, aber MEINE Truppe startete 13.30 Uhr in Taucha. Genug Zeit also für Dr. Buchwitz und mich, uns gegenseitig vorzujammern wie grauenhaft die "Waldröschen"-Bühnenfassung von Astrid Fischer-Windorf und Götz Löpelmann ist und wie sehr wir hoffen, dass das Stück NICHT auf ihr basiert. Ich hatte mein Exemplar der Bearbeitung sogar mit, damit sich auch die anderen - noch arglosen - Mitglieder unserer Expedition von der Berechtigung unseres Wehgeschreis überzeugen konnten. Sie zogen vor, es nicht zu tun. Dr. Buchwitz hatte sein Buch gleich zu Hause gelassen - um die bösen Geister nicht noch zu beschwören, vermute ich. Gegen 18.00 Uhr versammelte sich die gesamte Leipzig-Auswahl in dem dem Theater am nächsten gelegenen Ristorante. Man schwatzte ein bisschen, trank Kaffee, Bier oder etwas, das der Kellner im Scherz Tee nannte. Das es Ärger mit den Karten gab (wir waren angeblich erst für Sonntag eingeplant) hat man höchstens am Rande registriert oder gar nicht ernstgenommen. Zumal Dr. Buchwitz das Problem innerhalb weniger Minuten löste.
[...]
Neugierig - viele ahnten nichts von der kommenden Bedrohung - lustwandelten wir in den Saal und suchten unsere First-Class-Sitze in den ersten Reihen. Wir saßen alle vorn, in der Tat, traubenförmig hinter einer dicken Säule. Nach dem dritten Gong wurden ersteinmal hektisch die leeren Plätze Richtung Mitte belegt.

Als endlich alle etwas sehen konnte, konnte es losgehen. Es ging los. Und wie es losging! Es war grauenhaft.

Die Inszenierung war ja nicht einmal das Schlimmste. Das Tragische war, dass der Text tatsächlich typische Karl-May-Kolportage war. Jedes "O mein Vater, mein lieber, lieber, teurer Vater!" bohrte sich tief in das Ästhetikzentrum der Seele und ließ von unserem Schönheitsempfinden nur noch Fetzen übrig. Die Zuschauer krümmten sich regelrecht in ihren "Poesiewürdigungsstühlen", während Don Emanuel feierlich und mit theatralischen Gebärden: "Senior... Ich lege mein Auge ohne Zagen in Ihre Hände." deklamierte.

Während solcher Szenen konnte sich selbst der Erzähler, der das ganze Stück über auf der Bühne war, das Lachen nicht verkneifen. Dass wir dieses Schauspiel trotzdem überlebten, lag an der Genialität der Inszenierung. Das ist kein Widerspruch. Es war so grässlich, so abgrundtief schlecht, dass es eine der besten Kolportage-Parodien war, die man sich nur denken kann. Nie war eine Gefahr gefährlicher, eine Liebeserklärung schmalziger, ein Bösewicht böser...

Die Schauspieler schienen mit Begeisterung bei der Sache. Und auch Requisite und Maskenbildner hatten keine Mühen gescheut, das Offensichtliche noch offensichtlicher zu machen. Damit man z. B. auch auf den letzten Reihen das halbmondförmige Muttermal Marianos erkennen konnte, wurde es etwas vergrößert und wirkte wie eine Ganzkörpertätowierung. Es wurde wirklich sehr auf Details geachtet. Niemals gab einen Zweifel, ob eine auftretende Person zu den "Guten" oder zu den "Bösen" gehoerte. Und wenn das Auftrittslied von Josefa Cortejo "Zwei Apfelsinen im Haar" war, dann hatte die gute Frau zwei Apfelsinen im Haar.
Ach ja... das Wichtigste.
Überraschung!
Ja, das "Waldröschen" wurde als Musical auf die Bühne gebracht. Dieser aberwitzige Gedanke traf ebenfalls genau diesen "Wir müssen dem Zuschauer eindeutig klarmachen, dass..."-Wahn. Die Liebenden sind endlich in Sicherheit? Wir wissen es aus der Handlung. Das Bühnenbild zeigt es. Der Erzähler sagt es. Die Protagonisten betonen es auch noch einmal. Aber das reicht nicht. Um es auch dem langsamsten Zuschauer einzuhämmern, wird gesungen. Was kann denn mehr Idylle ausdrücken, als ein von Karl Sternau und Rosa de Rodriganda gesungenes "Kleines Haus am Wald", als sie endlich glücklich in Deutschland angekommen sind?! Die Szene, in der bewaffnete Auftragskiller ueber Dr. Sternau herfallen, dürfte allen geläufig sein. Weniger bekannt ist wahrscheinlich, dass er sie erledigt, indem er "Ooh... ooh... Moonlight"-singend über den Friedhof tanzt und sie mehr durch Zufall während diverser Pirouetten niedermacht. Selbst den Kantor emeritus hätte es geschüttelt! Die Zuschauer jedenfalls hat es. Ausgiebig.

Es war einfach grauenvoll komisch, gnadenlos übertrieben, entsetzlich intelligent und nervenzerfetzend... genial.
Um nichts in der Welt hätte ich es verpassen wollen!

J.F.
(PS: Die ursprüngliche Version erschien in "Karl May in Leipzig" Nr. 25)

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Auflage: 1